Individuum

 

Unser Universum besteht aus Myriaden miteinander wechselwirkender Teilchen - etwa 1029 davon nennen sich zur Zeit "Martin". Jedes dieser Teilchen kann nur durch eine räumlich und zeitlich variable Wahrscheinlichkeitsverteilung (die Wellenfunktion) beschrieben werden; selbst für ein Teilchen in einem gebundenen Zustand erstreckt sich diese Wellenfunktion über das ganze Universum. Daher sind alle Teilchen dieses Universums miteinander "verschränkt".

Meine Mutter zeigt mir ein Bild eines Säuglings : "Das warst Du, als Du noch klein warst!" - aber ich habe gar keine Erinnerung daran, wer dieses fremde Wesen mal war.

Unser Körper besteht aus einer Vielzahl von Molekülen, welche dauernd chemische Reaktionen eingehen (oder radioaktiv zerfallen) ; sie müssen daher auch laufend durch neue ersetzt werden. Diejenigen Moleküle, mit welchen "ich" seinerzeit Lesen und Schreiben gelernt habe, sind schon lange kein Bestandteil mehr von "mir" - trotzdem kann "ich" heute dieses hier schreiben. Etwas (der Geist?) ist also erhalten geblieben, obwohl seine Basis (der physische Körper) kontinuierlicher Veränderung unterworfen ist.

Das, was ich "Universum" nenne, ist eigentlich nur das Bild, welches ich in meinem Gehirn aufbaue - und das, was ich "ich" nenne, ist auch nur eine Idee, welche ich in meinem Kopf habe. Bei jeder Interaktion mit der Umwelt verändern sich viele der gedanklichen Assoziationen in meinem Gedächtnis - trotzdem empfinde ich meine "Persönlichkeit" als Konstante. Aber alle meine Bekannten würden schwören, dass ich mich immer weiter "entwickelt" habe⋯

Ein interessantes Experiment (1970): Ich soll mich "spontan" entscheiden, welchen von zwei Knöpfen ich drücken will.
Das verückte ist nun, dass das elektrische Potential (der Nerven im motorischen Cortex) zum Aktivieren eines Fingers etwa 1-1½ Sekunden benötigt, bevor sich der Finger selbst bewegt; davon müssen wir nun die Laufzeit des Signals in einem somatomotorischen Neuron (vom Gehirn zum Finger) subtrahieren. Aber dann gelangen wir zum verblüffenden Resultat, dass sich die Aktivität des motorischen Cortex (und damit die "bewusste" Entscheidung) erst aufbaute, nachdem das Signal zum Finger bereits unterwegs war...